Die Brennnessel
– heimisches Superfood

Wohlbekannt ist sie, die Brennnessel, da häufig anzutreffen und wunderbar leicht zu erkennen dank ihrer Brennhaare. Sie begegnet uns beim Inselschaf am Priel der Nordsee genauso wie auf der schwäbischen Alb unserer Albschaflinie. Bei unvorsichtiger Berührung hinterlässt sie für ein paar Stunden einen bleibenden Eindruck.
Nichtsdestotrotz ist sie in Küche und traditioneller Kräuterheilkunde hochgeschätzt und Pfarrer Künzle meinte sogar, hätte sie keine „Stacheln“, wäre die Brennnessel schon längst ausgerottet, so vielfältig seien ihre Tugenden.

Trotz ihrer Wehrhaftigkeit lohnt es sich, diese spannende Pflanze besser kennenzulernen und ein paar Ihrer Vorzüge für sich zu erschließen.

Im Frühling hält sie die „gesamte Grünkraft“ mit all ihren Inhaltsstoffen für uns bereit: Die Brennnessel, Urtica dioica und Urtica urens, kann als heimisches Superfood bezeichnet werden, denn sie zählt zu den Wildkräutern mit der höchsten Nährstoffdichte. Sie liefert viele Mineralien, u.a. Kalzium, Magnesium, Eisen, außerdem beachtliche Mengen an Vitamin C, Antioxidantien und Chlorophyll.
Traditionell war sie Bestandteil der Gründonnerstagssuppe, die aus 9 heimischen Wildkräutern nach einem Winter mit eher einseitiger Kost den Körper mit frischen Vitalstoffen versorgen sollte.

Der Tee aus den Blättern der Brennnessel, besser noch die frische Pflanze, ergibt eine wirksame „Frühjahrskur“, denn die Brennnessel regt die Verdauungsorgane und vor allem die Entgiftung über die Nieren an. Roger Kalbermatten meint, dass die Bezeichnung „blutreinigend“ bei keiner anderen Pflanze so zutreffend sei, wie bei der Brennnessel.

Ein Blättertee zur Durchspülung bei Erkrankungen der Harnwege, bei Hautunreinheiten sowie unterstützend bei Rheuma und Gicht hat sich in der traditionellen Kräuterheilkunde vielfach bewährt, vorausgesetzt es wird ausreichend zusätzlich getrunken. Statt einem Tee kann auch ein Brennnessel-Wasser zubereitet werden. Dafür gibt man eine Handvoll junge, frische Brennnesselblätter in eine Karaffe mit klarem Wasser, lässt diese bei Zimmertemperatur etwa 6 Stunden stehen und erhält ein erfrischendes Wasser, das den Körper ebenfalls mit der geballten Pflanzenenergie der Brennnessel versorgt.

Wichtig zu beachten: zusätzlich zu einer Brennnesselkur mindestens zwei Liter Wasser zusätzlich trinken und bei regelmäßiger Einnahme nach 3-6 Wochen mit der durchspülenden Kur pausieren!

Für die Ernte dieser wehrhaften Pflanze empfehle ich, sich mit Handschuhen und Schere auszurüsten. Unempfindlichere Naturen greifen beherzt von unten nach oben an die Brennnesselpflanze.

Am Ende des Sommers konzentriert sich die Kraft und Vitalität der Brennnessel in ihren Samen, die ebenfalls in Küche und Hausapotheke Verwendung finden. Die Samen der „Scharfnessel“ waren in mittelalterlichen Klöstern übrigens strikt verboten, da sie als sicheres Liebes- und Potenzmittel galten. Nennen wir sie heute lieber „Vitalitätstonikum“ und verwenden die Samen, z.B. 1 EL pro Tag frisch angemörsert in Joghurt, Apfelmus, Salat, Saft o.Ä., wenn wir einer Stärkung bedürfen: in der Rekonvaleszenz, bei Erschöpfung, im Alter.

Für ein glänzendes Fell, lautet eine Überlieferung, gab man den Pferden Brennnesselsamen ins Futter. Ob dies auch bei uns Menschen fruchtet, ist bestimmt einen Versuch wert. Die Samen der Brennnessel werden im Spätsommer geerntet, wenn sie sich dunkel verfärbt haben. Bevor sie luft- und lichtgeschützt bevorratet werden, die Samen noch nachtrocknen lassen, dass es später nicht zur Schimmelbildung kommt.

Doch nicht nur als Küchen- und Heilkraut hat diese Pflanze viel zu bieten, erstaunlicherweise hat sie auch einen Platz in der Naturkosmetik.

Unsere Vorfahren sahen in den Brennhaaren der Urtica dioica, der Brennnessel, die Signatur für kräftiges, gesundes Haarwachstum. Und tatsächlich stärken die kieselsäurereichen Aufgüsse aus der Brennnessel den Haarboden und das Haar. Gegen vorzeitigen Haarausfall empfahl Pfarrer Kneipp 200 g frische Brennnesseln in einem Liter Wasser zu kochen und damit vor dem Schlafengehen den Kopf zu waschen. In jedem Garten sollte der Brennnessel ein Eckchen gewährt werden.

So ist sie nicht nur schnell zur Hand, wenn wir ihrer Unterstützung bedürfen, sie dient auch als Futterpflanze für einige Schmetterlingsraupen, hinterlässt wo sie wächst einen guten, ausgeglichenen Boden und Gärtner wissen die Brennnesseljauche zu schätzen, die im Garten als Dünger dient und die Widerstandkraft der Pflanzen gegen Schädlinge erhöht. Für die Völker Nordeuropas war die Brennnessel auch eine wichtige Faserpflanze, aus der sowohl feine Gewebe als auch grobe Stricke und Seile gewonnen wurden. Es ließen sich noch weitere spannende Aspekte dieser so wohlbekannten und oft wenig beachteten Pflanze aufzählen. Für einen respektvollen, achtsamen Umgang sorgt sie mit ihren Brennhaaren selbst, aber vielleicht kommt nach diesem Einblick und vielleicht selbst gemachten Erfahrungen mit den segensreichen Kräften der Brennnessel noch eine Wertschätzung beim Umgang mit ihr hinzu. Es würde uns  freuen, wenn du bei deinem nächsten Wald- und Wiesenspaziergang diese Pflanze mit ganz anderen Augen, neuen Blickwinkeln betrachtest. Die Farbnuancen der Grüntöne findest du natürlich auch in unseren Wollfarben und Handarbeitsprojekten auf unserer Kreativweide wieder.

— Kerstin Ginzel

Artemisia – Natur & Gesundheit
Spaichingen

Bitte beachten:
Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Die Umsetzung von Tipps und Anregungen erfolgt in Eigenverantwortung. Die Verfasserin übernimmt keinerlei Haftung. Beim Sammeln und Verzehren von Wild- und Gartenkräutern darf es zu keinen Verwechslungen kommen, da nicht alle Pflanzen gesund und/oder essbar sind. Holen Sie sich fachkundigen Rat ein.

Text: © Kerstin Ginzel
Fotos: © Steffi Elsner / Kerstin Ginzel